Betreff: Vielen Dank für euer Vertrauen – Beendigung meiner Vorstandsarbeit
Liebe Scientists und Unterstützerinnen,
ich möchte euch allen herzlich für die letzten gemeinsamen zwei Jahre danken. Als stellvertretender S4F-Obmann und in einem exzellenten und liebevollen Vorstandsteam durfte ich die Selbst(wieder-)erfindung unserer Graswurzelbewegung miterleben. Die S4F-Österreich-Bewegung hat jetzt die Chance, mehr denn je, glaubwürdig gegen die Ausbeutung unseres Planeten, uns Menschen und unserer wissenschaftlichen Gemeinschaft aufzutreten. Ich bin zuversichtlich, dass wir Scientists und Aktivistinnen diese Gelegenheit bestmöglich nutzen werden. Diese Zuversicht macht es mir einfacher, nach fünf Jahren Koordinations- und Strategiearbeit und zwei Jahren im Vorstand, im Jahr 2025 eine Pause einzulegen und mich darauf zu konzentrieren, unsere S4F-Erkenntnisse auf mein Leben und meine Forschung anzuwenden.
Mein Abschiedswunsch für die S4F ist, dass wir die Zusammenarbeit mit den Psychologists for Future (Psy4F) intensivieren und ihre Perspektiven in unsere tägliche Aktivismusarbeit sowie in unsere langfristigen Strategien integrieren. Unsere kollektive S4F-Schwarmintelligenz hat uns bereits unbewusst den Psy4F-Werten angenähert. Rückblickend hilft mir insbesondere der Psy4F-Jargon, präzise zu formulieren, was wir in den letzten Jahren erreicht haben:
- Wir haben eine Grundlage für einen regenerativen Aktivismus1 geschaffen. Das merke ich vor allem daran, dass mir unsere gemeinsamen Aktivitäten viel Kraft schenken und ich die S4F als einen sicheren und wertschätzenden Ort empfinde, zu dem ich mich zurückziehen und einfach sein oder mich verwirklichen kann, ohne mich von den Zwängen und Erwartungen des gewohnten wissenschaftlichen Betriebes getrieben zu fühlen.
- Wir sind eine Graswurzelbewegung und funktionieren als solche. Unsere Form der Selbstorganisation wird gut von Frederic Laloux beschrieben2. Wir sind eine Organisation, die kontinuierlich ihren Sinn und Zweck reflektiert, anstatt Wachstumsziele zu verfolgen. Wir Scientists werden dabei als Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit wahrgenommen, anstatt als Ressource. Die Koordination untereinander funktioniert flexibel, indem wir uns gegenseitig spüren und miteinander resonieren, anstatt durch Vorausbestimmung und Kontrolle.
- Unsere Beziehungen und Gefühle sowie die Gefühle unserer Mitmenschen sind in den Vordergrund unserer Aktivismusarbeit gerückt. Wir haben festgestellt, dass appellative Vorträge und bloßes Wissen nur wenig Bewegung in die dringend notwendige Transformation bringen. Im Gegenteil, wir haben zunächst viel Widerstand wahrgenommen, der mittlerweile von international gut vernetzten politischen Gegenbewegungen funktionalisiert wird. Gefühle sind jedoch „Bedürfnisanzeiger“ und bewegen uns zum Handeln3. Wenn wir sie ernst nehmen, haben wir ein enormes Potenzial, Mitmenschen zum Handeln zu motivieren und der Angst-Funktionalisierung entgegenzuwirken.
- Fürsorgliche Strukturen sind zentral für die Freiwilligenarbeit, da Geborgenheit und Wertschätzung die einzige „Kompensation“ für die intrinsische Motivation unserer Scientists sind. Stark kompetitive, patriarchische, sexistische, klassistische, rassistische, und autoritäre Strukturen können und wollen wir uns schlicht und einfach nicht leisten.
- Inter- und transdisziplinäre Offenheit und Vertrauen bieten möglicherweise die einzige Möglichkeit, den multi-dimensionalen Klimakrisenelefanten aus dem Porzellanladen zu führen4. Mit unserer S4F-Grundorientierung5 können wir vielleicht ein Stück weit Offenheit und Vertrauen schaffen.
Um Verenas Workshopmoderationsleitspruch hier abschließend leicht abzuwandeln: Gefühle haben Vorrang.6 Meine persönliche Herausforderung liegt jedoch darin, mich in der Fülle der Gefühle zurechtzufinden, sie zu erkennen, sie auszusprechen und ihre Bedeutungen zu verstehen. Die Psy4F geben uns dabei Werkzeuge zur Selbstfürsorge7, denn nur wenn wir uns um unsere eigenen Gefühle kümmern, können wir sie in unserem näheren Umfeld wahrnehmen und hoffentlich auch auf die Gefühle derjenigen eingehen, denen die Klimakrise vielleicht zu viel Angst macht, um sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Falls diese Reflexion die eine oder andere Person dazu bewegt, sich aktiv bei den S4F Österreich einzubringen, würde mich das natürlich sehr freuen. Dabei möchte ich jedoch eingestehen, dass das Thema „automatisierter Onboarding-Prozess“ bei unseren Vereinstreffen nie oberste Priorität hatte. Vielleicht hilft euch diese Information, die Einstiegsbarrieren proaktiv zu überwinden. Es lohnt sich. Und vielleicht findet sich auch eine Aktivistin oder ein Aktivist, die oder der dieses organisatorische Thema angehen mag.
Dankbar,
Euer Fabian
- Nhat Hanh, T. (2008). Good citizens. Creating enlightened society. Berkeley: Parallax Press. in Selbstfürsorge im Aktivismus von den Psychologists 4 Future Austria. Workshop für die S4F Austria am 27.März.2025 ↩︎
- Laloux, F. (2016). Reinventing organizations: An Illustrated Invitation to Join the Conversation on Next-Stage Organizations. in Selbstfürsorge im Aktivismus von den Psychologists 4 Future Austria. Workshop für die S4F Austria am 27.März.2025 ↩︎
- Dohm L. und Schulze M. Klimagefühle (2022). Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln. Psychologists 4 Future Deutschland. Danke Lara für dieses Buch, du bekommst es bald zurück. ↩︎
- Basierend auf Timothy Mortons Hyperobjects – Philsophz and Ecology after the End of the World (2013) und der Workshoperfahrung am Klimatag 2024, bei dem wir die Klimakrise als mehrdimensionales Objekt wahrgenommen haben, das niemand von uns „überblicken“ kann
https://schipfer.eu/transforming-science-communication/ ↩︎ - Scientists 4 Future Österreich, (2024). Grundorientierung im Umgang miteinander. Befindet sich in allen Aussendungen und Einladungen der S4F und auch hier:
https://at.scientists4future.org/s4f-grundorientierung-im-umgang-miteinander/ ↩︎ - Verena Winiwarter hat uns bei der ersten Alm.Zeit 2023 die Grundsätze der Workshopgestaltung und Moderation erklärt, mit dem Leitspruch: „Störungen haben Vorrang.“ ↩︎
- Ditachmair L. und Goditsch J.M., (2025). Selbstfürsorge im Aktivismus von den Psychologists 4 Future Austria. Workshop für die S4F Austria am 27.März.2025 – https://at.scientists4future.org/2025/04/07/nachlese-zum-workshop-selbstfuersorge-im-aktivismus/ ↩︎